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Thorsten Hellwig
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Jan wälzte sich herum. Nach rechts, nach links und wieder zurück. Dann wieder von vorn. Nach rechts, nach links und so weiter. Sein Bett quietschte, das Gestell wackelte wie ein loser Zahn. Aber einschlafen konnte er immer noch nicht. Der Mond schaute zu seinem Fenster herein, dick und silbern. Er hing am Himmel wie ein riesiger Ballon, dem man vergessen hat zu sagen, dass Herumfliegen viel spannender ist, als an einer Stelle zu stehen.
„Der Mond hat bestimmt so viel Kraft, dass ich seinetwegen nicht schlafen kann“, dachte sich Jan und stellte sich vor, wie der Mond beim Armdrücken gegen fünfzehn Elefanten gewinnt.
Er stand auf, lief zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Jetzt war es etwas dunkler. Vielleicht reichte das.
Tat es aber nicht. Jan war putzmunter, als ob die Zeiger der Küchenwanduhr acht Uhr anzeigen würden. Es war aber mitten in der Nacht.
Er begann, Elefanten zu zählen. Schafe zählen fand er doof. Also versuchte er, Elefanten zu zählen. Aber vor seinen Augen war nicht mehr Platz als für drei Elefanten. Außerdem merkten die drei Elefanten sehr schnell, dass sie nur da waren, um gezählt zu werden. Also drehten sie sich herum, kamen wieder zurück, winkten mit ihren Rüsseln in die Richtung, wo sie Jan vermuteten. Manche Menschen tun das auch, wenn sie eine Fernsehkamera sehen. Einer, der größte von ihnen, ein stattlicher Kerl mit riesigen Stoßzähnen, sprühte sogar eine Wasserfontäne in Jans Richtung. Jan merkte, dass sie nicht gezählt werden wollten. „Dann zähle ich euch eben nicht“, sagte er halblaut, mehr zu sich als zu den Elefanten. Der Oberelefant indes verstand, verbeugte sich, indem er einen Knicks mit den Vorderbeinen machte und verschwand.
Also wieder wälzen. Von links, nach rechts und wieder zurück.
„Du nervst“, sagte plötzlich eine Stimme neben Jan.
Jan erschreckte sich so sehr – er war gerade bei einem Rechtswälzer, dass er noch einen machte und aus dem Bett fiel. Plumps, da lag er nun und rieb sich den Kopf, den er sich an der Bettkante angeschlagen hatte. Zum Glück war der Boden seines Zimmers mit Teppich ausgeschlagen.
„Wer ist da?“, flüsterte er, als ob der Unbekannte mit der rauen Stimme dadurch kleiner und weniger gefährlich würde, wenn man nur flüsterte und nicht normal sprach oder womöglich sogar schrie.
„Ich!“
„Wer ist ich?“
„Such mich doch!“, forderte die Stimme auf.
Jan schob langsam seinen Kopf über die Bettkante, ganz langsam sogar. Es sah so aus wie bei einem U-Boot, dass sein Beobachtungsfernrohr vorsichtig aus dem Wasser schiebt, um alles zu sehen, aber nicht gesehen zu werden. Jan bewegte seinen Kopf nur unmerklich. Seine Augen suchten die Matratze ab. Aber da war nichts, was hätte sprechen können. Nur seine Decke, sein Kissen und sein Stofflöwe Hans lagen da.
„Ich finde dich nicht.“
„Ich liege doch vor dir. Mach die Augen auf!“
Jan traute seinen Ohren nicht. Sein Kissen konnte sprechen. Er hatte ein sprechendes Kissen.
„Ich wusste gar nicht, dass Kissen sprechen können“, sagte er verwundert.
„Du sollst die Augen aufmachen. Menschen sind doch blöder, als ich dachte“, sagte die Stimme ungeduldig.
Jan schaute seinen Stofftierlöwen an. Dessen Augen blickten gar nicht so glasig leer wie sonst. Nein, genau das Gegenteil, sie funkelten sogar. Oder bildete er sich das alles ein?
„Hans?“
„Zu Diensten.“
Jan war baff.
„Du kannst ja sprechen?“
„Du doch auch.“
„Aber, aber ich bin doch ein Mensch.“ Jan geriet ins Stottern.
„Ja, und ich bin ein Stofflöwe. Warum soll ich nicht sprechen können?“
„Ja, warum eigentlich nicht“, dachte sich Jan.
Wenn man sich Jans Gesicht ganz genau anschaute, sah es aus, als ob jemand einen Sack Fragezeichen ausgeschüttet hätte. Jan verstand die Welt nicht mehr. Man muss sich das aber auch mal vorstellen: Da liegt ein Löwe aus Stoff in seinem Bett, solange man denken kann. Man konnte mit ihm anstellen, was man wollte. Er hatte nie einen Mucks von sich gegeben, wenn man nachts unglücklich auf ihn gerollt war, er japste nicht nach Luft, wenn man ihn zu fest an sich gedrückt hatte, er fauchte nicht böse, wenn er auf dem Weg zum Auto auf den Boden gefallen war. Und mit einem Male fängt dieser Stofflöwe an zu sprechen. Er faucht und kratzt und brüllt nicht, nein, aber er spricht.
„Du hast noch nie gesprochen?“
„Du hast auch noch nie so genervt wie heute. Nach rechts, nach links und wieder zurück und wieder von vorn. Das nervt. Außerdem ist Vollmond. Vollmond und genervt zu werden, das ist zu viel auf einmal. Ich bin schließlich auch nur ein Löwe mit dünnen Nerven.“
Jan schluckte.
„Wann sind Nerven denn dünn?“
„Nachts, wenn Vollmond ist und ein kleiner Junge die ganze Zeit im Bett hin- und herrollt“, antwortete Hans genervt.

Jan hingegen war nicht genervt, sondern verwirrt. In seiner Welt lebten Menschen, die konnten sprechen und singen, dann gab es Tiere, die zwitscherten, gackerten, schrien, grunzten, wieherten und machten andere Geräusche, Pflanzen machten vornehmlich Sauerstoff und hatten gar nichts zu sagen. Wenn sie dann doch mal etwas loswerden wollten, mussten sie den Wind herbeirufen, damit der wenigstens mit ihren Blättern raschelte. Kurz zusammengefasst gab es nur die Menschen, die richtig sprechen konnten, Stofftiere gehörten auf jeden Fall nicht dazu. Hans wollte in diese Ordnung so recht nicht mehr hineinpassen. Vielleicht war er ja auch ein Werwolf, verbarg hinter seinem flaumig-weichen Gesicht, ein böses Inneres und bestritt seinen Lebensunterhalt damit, kleinen Jungen von hinten an die Kehle zu springen oder den Arm auszureißen, wenn sie nicht aufpassten. Jan hatte schon die tollsten Sachen gehört.

 „Bist du jede Nacht wach?“
„Nein, nur wenn Vollmond ist und auch da nicht immer.“
Jan schwieg für einen Moment. Was machte man bloß mit seinem Stofftier, das gerade begonnen hatte, zu sprechen. Er kletterte vorsichtig wieder zurück in sein Bett.
„Beißt du?“, fragte Jan und fühlte sich etwas dämlich, als er Hans mit seinem weichen Fell neben seinem Kissen liegen sah.
Hans öffnete sein Stoffmaul und fragte: „Mi wa denn?“ Das sollte wohl heißen „Mit was denn?“ Aber wenn man mit offenem Mund spricht, geht die Hälfte der Buchstaben irgendwo im Hals verloren. Das hat man dann davon. Soviel dazu. Es leuchtete Jan ein, dass aus diesem Maul keine Gefahr drohte.
Hans langweilte sich. Er klopfte mit seiner rechten Tatze auf die Matratze. Er gähnte.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Jan.
„Weiß nicht“, antwortete Hans.
„Kannst du mir eine Geschichte erzählen?“
„Könnte ich.“
„Machst du es auch?“
„Kraulen!“, kam die Aufforderung zurück. Hans legte sich auf den Rücken und streckte alle Viere von sich. „Ich bin nur eine kleine Mietze-Katze und brauche Liebe. Ohne Kraulen, keine Geschichte.“
Jan begann Hans mit der linken Hals in der Kehle zu kraulen. Hans schnurrte wie eine Katze. Allerdings hörte es sich ein bisschen an wie ein Auto, das gerade seinen Auspuff verloren hat.
Als ob er Jans Gedanken erraten hätte, sagte Hans: „Ich bin schon lange nicht mehr gekrault worden, deshalb hört sich mein Schnurren auch etwas – na ja – unbeholfen an. Aber wenn du mich jetzt öfter kraulst, komme ich wieder besser in Übung.“
Es dauerte keine zwei Minuten, da folgte dem Auspuff-Schnurren, ein Auspuff-Schnarchen.
„Und die Geschichte?“
Keine Antwort.
„Na warte!“, dachte sich Jan und begann sich wieder im Bett herumzuwälzen. Keine zwei Minuten später, wachte Hans auf und gähnte kurz: “Du nervst. Ich erzähle ja schon.“
„Au ja. Was denn?“
„Das wirst du dann schon hören“, sagte Hans missmutig. Schlafende Löwen soll man eben nicht wecken.
„Weißt du, wie der Löwe zum König der Tiere wurde?“
„War er das nicht immer schon?“
Hans lachte von oben herab, obwohl er viel kleiner war als Jan. „Nein, nein mein kleiner, dummer Freund. Am Anfang waren ganz andere Tiere als König im Gespräch. Willst du diese Geschichte, die, so wahr mir der Affenbrotbaum beisteht, nicht gelogen ist, hören?“
Jan wollte.
Und nun begann Hans zu erzählen. „Heutzutage denken alle, du ja auch – er piekste Jan eine Stoffkralle in die Seite – dass wir Löwen die Könige der Tiere sind und das auch schon immer waren. Ist aber Quatsch. Am Anfang gab es nämlich überhaupt keinen König der Tiere. Und Autos gab es auch keine.“
Hans räusperte sich. Man merkte ihm an, dass er gerne Geschichten erzählte. Er fuhr fort.
„Vor langer, langer Zeit, also vor so richtig langer Zeit gab es, wie gesagt, keinen König im Tierreich. Jede Tierart machte das, worauf sie gerade Lust hatte und entschied so, wie sie es für richtig hielt. Alles lief durcheinander, was nicht weiter störte, weil sich jeder daran gewöhnt hatte, dass alles durcheinander lief. So standen Giraffen mit Rehen zusammen am Fluss und unterhielten sich über das Wetter und Krankheiten, die ihnen gerade das Leben schwer machten. Die Affen ritten auf Elefanten und mussten ihnen dafür das Ungeziefer aus der Elefantenhaut herausfriemeln. Die Löwen kegelten zusammen mit den Wildschweinen. Jeder durfte jeden fressen, wenn er Hunger und der andere nichts dagegen hatte.

„Wie soll das denn gehen?“, unterbrach ihn Jan ungläubig.
Hans schaute ihn tadelnd an und sagte beleidigt. „Wenn du mir nicht glaubst, erzähle ich eben gar nicht weiter.“
 „Doch bitte, bitte. Ich war nur, nur…“, Jan überlegte: „etwas überrascht.“
„Hmmm“, brummelte Hans und spielte beleidigt. „So kann ich nicht erzählen“, stellte er weinerlich fest. Sag bitte, bitte, lieber Hans, erzähl doch weiter. Bitte!“
„Bitte, bitte, lieber Hans, erzähl doch weiter. Bitte!“ Jan wollte unbedingt die Geschichte weiter hören. Sonst hätte er Hans einen großen Vogel, vielleicht einen Strauß gezeigt.
„O k. Wo waren wir stehen geblieben?“
„Du hast gerade erzählt, dass jeder jeden fressen durfte.“
„Ja, stimmt. Es war nämlich tatsächlich so, dass die Tiere erst fragten, bevor sie ein anderes fraßen. Sie fraßen auch meist nur ein Teil, damit von dem anderen Tier noch etwas übrig blieb. Es konnte also durchaus passieren, dass ein Fuchs einen afrikanischen Büffel fragte, ob er ihn fressen dürfte.“
„Und was antwortete der Büffel?“
Hans überlegte.
„Vielleicht sagte er: „Ja, grundsätzlich schon, aber andererseits bin ich doch viel zu groß für dich. Du könntest mich gar nicht, selbst wenn du es wolltest, auf einmal essen. Außerdem fangen bei diesen Temperaturen offene Wunden immer so übel zu riechen an. Ich kann mich ja schlecht in eine Kühltruhe legen.“ Kühlschränke oder Tiefkühltruhen gab es damals nämlich noch nicht.
„Und der Fuchs?“
„Der sah ein, dass der Büffel Recht hatte und fraß wieder Gras oder suchte sich was Kleineres. Die Tierwelt war zu dieser Zeit viel friedlicher, und die meisten Tiere überlegten zuerst, bevor sie etwas taten oder sagten. So ist es gekommen, dass Füchse zum Beispiel nie einen Büffel fraßen, obwohl sie es gekonnt hätten.

Allerdings hatte man von einem Problem gehört, dass die Tiere in helle Aufregung versetzte: Zu dieser Zeit gab es noch kein Afrika, Europa oder Amerika auf der Welt. Alles hing zusammen und war eins – ein großes Land, um das herum die Meere plätscherten. Aber dieses riesige Land ächzte und stöhnte an jeder Ecke und in der Mitte auch, so dass die Tiere mutmaßten, dass es auseinander brechen könnte. Aber keiner wusste, wann das passieren könnte und wie viele Teile daraus entstehen würden. Die friedvolle Ruhe ging in den Gedanken an das mögliche Unglück verloren.
In all diesen Wirren entstand – später sagte man in einem mächtigen Nashorn-Kopf – die Idee, man müsse einen König für alle Tiere bestimmen, der mit Mutter Erde sprechen sollte, um das große Unglück zu vermeiden. Vielleicht wäre ein König in der Lage, die Erde davon zu überzeugen, dass es am besten sei, wenn alles so bliebe, wie es gerade war.
Nur, wer sollte der König sein?
Der Esel, die Giraffe, das Meerschweinchen, der Brombär oder der Leopard vielleicht? An den Löwen dachte keiner, weil der damals noch keine Königsmähne hatte. Die bekam er erst, als er schon König war. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Tiere entschieden sich, einen König aus ihren eigenen Reihen zu wählen.
„Was heißt wählen?“, wollte Jan wissen.
„Wählen heißt soviel wie aussuchen“, erklärte Hans gnädig und fuhr fort zu erzählen: „So verabredeten sich die Tiere am größten und höchsten Baum, der zu finden war. Das Treffen sollte in drei Wochen stattfinden, damit auch die Tiere, die von weither kommen wollten, genügend Zeit hatten. Dieser Baum lag in unmittelbarer Nähe einer Gegend, wo der große Löwe wohnte, der schon des Öfteren unter den schattenspendenden Ästen verweilt und sich ausgeruht hatte.
Die Nachricht verteilte sich über den Wind, die Vögel, die Fische und die Botenschweine, die es damals sehr oft gab über das ganze große Land, von dem die Tiere glaubten, dass es auseinander brechen würde. Die Tage verstrichen, während die Aufregung unter den Tieren wuchs. Nur der Löwe blieb gelassen, weil er, dass sei hinter vorgehaltener Hand gesagt, einfach zu faul war, aufgeregt zu sein. Unruhe und Hektik kannte er nicht. Am Tag der Versammlung, den er schon wieder vergessen hatte, lag er mal wieder und rein zufällig unter dem Baum und konnte somit nichts verpassen.
Immer mehr Tiere kamen aus allen Himmelsrichtungen geflogen, gekrochen oder gelaufen, um ihren König zu wählen. Manche, die ganz selbstbewussten wollten sich wählen lassen, andere nur über die Königskandidaten abstimmen. Diejenigen Tiere, die überhaupt nicht wussten, was eine Wahl ist, hatten den Weg aus reiner Neugier auf sich genommen. Vielleicht gab es ja auch Geschenke.
Der Baum stand auf einem kleinen Hügel, so dass man weite Blicke über die umliegende Ebene schweifen lassen konnte. Als ein wenig Ruhe eingekehrt war, erhob ein Elefant das Wort. Gab es davor noch hie und da ein paar Gespräche, wurde es binnen einer Sekunde mucksmäuschenstill: „Ihr wisst alle, warum wir uns heute hier versammelt haben.“ Er machte eine kurze, aber wirkungsvolle Pause. Die Spannung wuchs wie eine Pflanze, auf die die Sonne scheint. „Wir brauchen einen König, der mit Mutter Erde verhandelt, damit das Land nicht auseinander bricht“, sagte er würdevoll und kratzte sich mit seinem Rüssel am linken Ohr. „Ich schlage vor, dass jeder, der sich für einen guten König aller Tiere hält, jetzt hervortritt!“
Es dauerte keine zwei Sekunden, da stand die Hyäne neben dem Elefanten und lachte so schamlos und laut, wie das Hyänen immer tun. Nach und nach gesellten sich die Giraffe, die Schlange, der Fuchs und der Brombär hinzu. Die Nacktschnecke, die von einem weißen Storch mit in den Süden genommen worden war, wollte auch zum Elefanten kriechen, war aber viel zu langsam und kam erst vier Jahre später an der Stelle an, wo sich jetzt die Tiere vorstellten, die König werden wollten. Weil sich die Schnecke genauso langsam bewegt, wie sie hört, erfuhr sie auch erst vier Jahre später, dass der König schon gewählt worden war.

„Du Hans, ich muss mal. Du darfst aber nicht weiter erzählen.“ Hans verdrehte die Augen, Jan sprang aus dem Bett und war eine Minute später wieder da.
„Du kannst weiter erzählen.“
„Das ist aber nett von dir“, sagte Hans spöttisch, aber eigentlich freute er sich, dass er weiter erzählen konnte und ihm jemand zuhörte.

„O k. Wo waren wir stehen geblieben?“
„Du hast gerade erzählt, dass die Nacktschnecke zu langsam war.“
 „Ja, stimmt. Der Elefant also fragte die neben ihm Versammelten der Reihe nach, warum sie einen guten König abgeben würden.
„Also, ich wäre ein guter König, weil ich alles immer so positiv sehe“, lachte die Hyäne. Lachen ist an sich etwas Schönes, aber es gibt zwei Tiere, bei denen sich Lachen schrecklich anhört: zum einen bei der Hyäne und zum anderen bei der Möwe. Während die Hyäne lachte, schaute sie linkisch, fletschte die Zähne und ließ ihren langen gefleckten Hals von links nach rechts und wieder zurückbaumeln, als ob sie betrunken wäre.
Die Giraffe sagte nur, dass sie eine hochgestellte Persönlichkeit sei und besonders weitsichtig wäre. Das konnte jeder glauben. Nur, wer einmal eine Giraffe gesehen hat, deren Zunge aus dem Maul hängt, wenn sie nichts zu tun hat, der weiß, dass eine Giraffe kein guter König wäre. Ein König muss nämlich nicht nur weise und klug sein, er muss auch ein wenig so aussehen. Die Zunge darf ihm auf keinen Fall aus dem Maul hängen. Außerdem sehen Giraffen beim Wasser Saufen mit ihren gespreizten Beinen etwas dämlich aus.
Während sich die Schlange noch auf ihre Rede vorbereitete, trat der Elefant aus Versehen auf ihren hinteren Teil, so dass sie sich auf den Schwanz getreten fühlte. Sie zischte etwas Giftiges, was keiner verstand und schlängelte sich beleidigt davon. Und das ist auch der Grund, warum Schlangen heute noch giftig sind.“ Hans machte eine Pause, um die Wichtigkeit seiner Aussage zu betonen. „In dem Moment nämlich, in dem der Elefant auf die Schlange getreten war, sammelte sich all das Böse ihrer Gedanken in ihrer Spucke und wurde zu Gift. Weil die Schlange aber an ihrem eigenen Gift nicht zugrunde gehen wollte, verbarg sie es in zweien ihrer größten Zähne und biss sich so von da an durch ihr und das Leben anderer.
Der Fuchs wollte es ganz schlau anstellen. Er räusperte sich und begann zu sprechen:
„Liebe Tiere und Tierinnen, ich glaube, in Anbetracht der Tatsache, dass wir vor so einem schwierigen Problem stehen, dass unserer Existenz gefährlichst gefährlich werden könnte, möchte ich sagen…“
Weiter kam er nicht. Die ersten Tiere begannen zu buhen. Sie wollten einen König und keinen Schwätzer. Der Fuchs erhob erneut die Stimme, aber die anderen Tiere ließen ihn nicht. Hätten sie Eier gehabt, hätten sie welche geworfen. So blieb ihnen nichts weiter übrig, als zu pfeifen und zu buhen. Die Stimmung war so gereizt, dass der Elefant dem Fuchs empfahl, nicht mehr König werden zu wollen.

Der Brombär trat hervor.
„Ich möchte, dass wir uns alle weiterhin gut miteinander verstehen, auch und gerade mit den Pflanzen und den Beeren“, sagte der Brombär mit weicher Stimme.
„Und was ist mit dem Gespräch mit Mutter Erde?“, fragten einige aufgebracht.
„Ja.“
„Wie ja?“
„Ja, wir müssen mit ihr sprechen und ihr zeigen, dass wir sie auch lieb haben.“ Da stand der Brombär und wollte Mutter Erde lieb haben. Die Tiere schauten sich fragend an: „Konnte so jemand König werden?“

Nun war guter Rat teuer. Der Elefant kündigte eine Pause von fünf Minuten als Bedenkzeit an.
Der Löwe hatte die ganze Zeit über in der ersten Reihe gelegen und sich die Reden der anderen Tiere mit einem Ohr angehört. Mit zweien zuzuhören war ihm zu anstrengend, deshalb hatte er das eine Ohr abgeknickt und auf Durchzug gestellt. Während der Pause wollte er hinter einen anderen Baum gehen und sein Bein heben. Er hatte nämlich vor der Versammlung sehr viel getrunken, was er jetzt merkte. Er stand vorsichtig auf und ging langsamen, gemessenen Schrittes, weil ihn seine Blase so drückte, an den anderen Tieren vorbei. Sein Bauch schaukelte und gluckerte wie ein kleiner Bach. Die Gazelle mit ihren schlanken Beinen und dem schönen Kopf sah, wie würdevoll der Löwe daher schritt und schrie mit lauter, hoher Stimme: „Lasst uns den Löwen wählen. Seht nur, wie viel Würde er ausstrahlt!“
Die versammelten Tiere drehten die Köpfe zu dem Löwen, der nur eines wollte, nämlich Pipi machen.
„Ja, der Löwe soll unser König werden“, riefen einige einsame Stimmen, die aber mehr und mehr wurden. „Lasst ihn reden!“
Immer mehr Tiere riefen nach dem Löwen. Die anderen Königsanwärter machten nicht den Eindruck, als ob sie einen guten König abgeben würden, deshalb hofften sie auf eine bessere Lösung.
Der Löwe schaute ganz verblüfft, wobei die anderen Tiere dachten, er würde schlau und wie ein echter König dreinblicken. Doch dann geschah das Unglück: Weil der Löwe so verblüfft war und sich über die ganzen ihm zujubelnden Tiere freute, machte er sich vor lauter lauter in die Hose. Also, er hätte sich in die Hose gemacht, wenn er eine gehabt hätte. So lief alles aus dem Löwen heraus, und beinahe hätte er einen roten Kopf bekommen. Jetzt war bestimmt alles zu spät. Aus der Traum vom König. Wer wollte schon einen König haben, der vor allen Tieren der Welt einfach so drauflos pinkelte?
Aber den Tieren machte es gar nichts aus. Ein Nilpferd rief: „Schaut mal, er pinkelt wie ein richtiger König!“ Obwohl es überhaupt gar keine Ahnung hatte, wie ein König pinkelt. Die anderen stimmten mit ein: „Oh ja, er ist einer von uns!“
Der Hyäne blieb ihr dämliches Lachen im Halse stecken. Der Fuchs schluckte und begann dann zu klatschen. Er dachte sich, dass ihm das einmal nützlich sein könnte, wenn er jetzt dem späteren König Beifall spenden würde. Das war das erste Mal, dass ein Fuchs etwas Schlaues dachte.
Der Löwe war ganz gerührt und trat neben den Elefanten. Er begann ruhig und bedächtig, wie es seine Art war, zu sprechen: „Liebe Freunde, ich möchte mich nicht aufdrängen und mich kurz fassen. Ich denke, dass ich mit Mutter Erde sprechen könnte. Es ist mir egal, ob ich dabei König bin oder nicht. Es geht um unser aller Zukunft. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“
Alle lauschten gebannt den Worten des Löwen. Die Tiere waren gerührt, weil es den Anschein hatte, es ginge dem Löwen gar nicht nur darum, König zu werden. Es schien, als wollte er in erster Linie dafür sorgen, dass das große Land nicht auseinander brach. Dann trat für einen kurzen Moment vollkommene Stille ein. Der Löwe fragte sich gerade, ob er das Richtige gesagt hatte, als orkanartiger Jubel aufbrandete.
„Ja, der Löwe soll unser König sein. Es lebe der König! Auf den König der Tiere!“
Ein Hängebauchschwein und die Gazelle hatten den Ruf „Auf den König der Tiere!“ falsch verstanden und sich auf den Löwen geworfen, als Zeichen ihrer Freude, wie es heutzutage Fußballer nach einem Tor machen. Der Löwe schaute verdutzt, aber der Elefant half ihm mit seinem langen Rüssel, der die beiden Dümmlinge wieder zurück an ihre Plätze trug.
Die Wahl war nur noch Formsache.
Die Tiere machten den Löwen zu ihrem König. Danach drängten sie sich an ihn heran, um ihm zu gratulieren und ihm das Beste für seine Aufgabe zu wünschen. Nur die Hyäne tat nichts dergleichen, weil sie dem Löwen den Erfolg nicht gönnte. Sie lachte dümmlich mit gefletschten Zähnen in sich hinein und ging mit gesenktem, schaukelndem Kopf davon.
Man bestellte noch königliche Boten, nämlich den Königsdelphin für das Meer, den Königstiger für das Land, den Königsadler für die Luft und den Königspinguin für die Eisberge.

Während die Tiere bereits ihren ersten König feierten, bohrte sich der Maulwurf an die Oberfläche. Er steckte seinen Kopf mit den kleinen Äuglein aus seinem Hügel. Neben ihm kämpfte sich die Nacktschnecke weiter Millimeter für Millimeter vorwärts. Der Maulwurf fragte sie, wann denn die Wahl des Königs stattfände, oder ob er schon zu spät sei. Die Nacktschnecke schaute den Maulwurf mit ihren Stielaugen lange und durchdringend an: „Hääh?“, sagte sie. Mehr war nicht aus ihr herauszubringen. Sätze kamen in ihrem Kopf immer nur als einzelne Buchstaben an, und es dauerte einige Stunden, bis sie sie zu Worten zusammensetzen konnte. Arme Schnecke, man konnte sich mit ihr nur unterhalten, wenn man ganz viel Zeit hatte. Der Maulwurf sah erst jetzt die anderen Tiere, wie sie tanzten und immer wieder „Es lebe der König der Tiere! Es lebe der Löwe!“ riefen. Der Maulwurf war wie immer zu spät angekommen. Das hing mit seinen schlechten Augen zusammen. Er trug zwar eine Uhr, konnte sie aber leider nicht ablesen. Der Maulwurf überlegte kurz, ob er traurig sein sollte, weil er die Wahl verpasst hatte, entschied sich jedoch dafür, mit allen anderen zu feiern. Der Löwe war ja schließlich auch sein König und er ein ausgesprochen ausgelassener Tänzer.

So wurde der Löwe zum König der Tiere gewählt und später vom Elefanten ernannt, obwohl er eigentlich gar nichts gemacht hatte, außer am richtigen Ort zur richtigen Zeit Pipi zu machen.
Die Tiere zogen nach der Wahl beruhigt wieder dahin zurück, wo sie hergekommen waren. Sie vertrauten ihrem König ihre Zukunft an und glaubten fest daran, dass er eine Lösung finden würde.
Der Löwe lag unter dem Baum und hatte seine Vordertatzen hinter dem Kopf verschränkt. Sein Kopf war mit Freude und Müdigkeit gefüllt. Neben ihm ruhte sich der Maulwurf von den Anstrengungen des Tages aus. Auch er lag auf dem Rücken. Seine Grabarme schmerzten ihn wegen des vielen Tanzens, weil Maulwürfe immer im Handstand tanzen. Die Sterne funkelten, während der Mond dick und rund auf den ersten König der Tiere und den Maulwurf schien. Irgendwo lachte die Hyäne. Wie immer. Dann sind sie eingeschlafen. Ende der Geschichte.“

„Das war eine tolle Geschichte“, sagte Jan zufrieden und gähnte.
„Ja?“, fragte Hans selbstzufrieden, weil er wusste, dass die Geschichte toll war.
„Erzählst du mir beim nächsten Vollmond wieder eine spannende Geschichte?“
„Nur, wenn du wieder so nervst.“
„Abgemacht. Weißt du schon, was für eine?“
„Sei nicht so neugierig.“
„Sag es doch bitte!“
Hans verdrehte die Augen, was er wirklich verdammt gut konnte: „Vielleicht die Geschichte, wie der Löwe die Spaghetti erfand oder eine andere. Ich weiß noch nicht.“
„Dann muss ich mich wohl oder übel überraschen lassen.“
Die Kirchturmuhr schlug drei Mal.
Jan drehte sich noch einmal um. Dann war er eingeschlafen.
Hans dachte kurz an den Löwen und den Maulwurf und schlief ebenfalls ein.