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Thorsten Hellwig
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Felix hatte das Krankenhaus bald wieder verlassen dürfen. Jan erzählte ihm nicht ohne Stolz, wie er den Pförtner geweckt hatte und dann nach Hause gelaufen war, ohne dass ihn seine Eltern dabei ertappt hätten.
„Wann ist denn das nächste Mal Vollmond?“, wollte Felix ein paar Tage später wissen.
Jan schaute auf dem Küchenkalender nach und stellte fest, dass sie beim nächsten Vollmond gar nicht zuhause sein würden. „Wir sind auf Klassenfahrt, auf dem Boot, wenn Hans das nächste Mal wach wird.“
„Was machen wir dann?“
Jan schaute einen Moment ratlos an die Decke, dann kam ihm eine Idee. „Wir nehmen Hans einfach mit aufs Boot. Was hältst du davon?“
„Davon halte ich viel“, freute sich Felix.
So kam es dann auch. Aus Jans kleinem Rucksack lugte am Tag der Abreise Hans wuscheliger Löwenkopf heraus. Zum Glück waren Jan und Felix alleine in einer Kabine mit zwei Betten untergebracht.
Am Vollmondabend kam ein starker Wind auf. Das Boot tanzte auf den Wellen – mal nach links und mal nach rechts. Dem ein oder anderen von Jans und Felix Klassenkameraden wurde ganz übel. Jan und Felix indes waren viel zu aufgeregt, um sich um ihren Magen kümmern zu können. „Was würde Hans wohl heute für eine Geschichte erzählen“, fragten sie sich. Der Sturm ließ nicht nach. Das Boot wälzte sich auf dem Wasser hin und her, als ob es einen schlechten Traum hätte.
Jan und Felix lagen ruhig in ihren Betten und warteten gespannt. Noch ehe sich die beiden auch nur einmal herumgewälzt hätten, füllten sich Hans` Augen mit Leben: „Was ist das denn hier wieder für eine Unruhe?“, fragte er mürrisch, gähnte kräftig und schaute zu den beiden Jungen. Felix war flugs in Jans Bett gekrabbelt.
„Wir machen doch gar nichts“, warf Jan ein.
„Ach ja?“, fragte Hans. „Und warum rolle ich von der einen zur anderen Seite?“
„Wir sind auf einem Boot und draußen stürmt es heftig.“   
„Mir wird schlecht, ich bin kein Seelöwe“, maulte Hans weiter.
Jan hatte gehört, dass man eher in der Kabine als an Deck seekrank wird. „Sollen wir vielleicht oben an Deck gehen, ich glaube, das ist besser.“
„Ist das nicht zu gefährlich?“, fragte Felix ängstlich.
„Du kannst ja hier bleiben, wenn dir mein Wohlergehen nicht so wichtig ist“, warf Hans ein.
Natürlich kam Felix mit. Leise verließen die Drei die Kabine und kletterten die steile Treppe nach oben. Der Wind pfiff sich ein Liedchen und hatte Spaß daran, das Boot herumzuschubsen. Sie setzen sich in die Nähe der Reling und hielten sich gut fest. Die frische Luft und der weite Blick machten die zwei Jungen und Hans munter. Hans hörte sogar auf zu meckern, was bei ihm viel zu bedeuten hatte. So saßen sie an Deck und warteten auf ein Zeichen. Und das Zeichen kam. Die Wolkendecke riss auf, das stürmische Dunkel verwandelte sich in eine matte Helligkeit, die der dicke Mond über den Nachthimmel ergoss. Aus dem Sturm wurde ein Wind, der den Griff um das Boot lockerte und sich mehr damit beschäftigte, die Wolken nach Osten zu vertreiben.
„Jetzt geht es mir besser. Ihr konntet ja wirklich nichts für dieses Schaukeln“, stellte Hans versöhnlich fest.
„Erzählst du jetzt weiter?“, fragten Jan und Felix gespannt und voller Hoffnung.
„Dann will ich mal nicht so sein“, antwortete Hans.

Das Leben des Löwen plätscherte vor sich hin. Er hatte es sich etwas spannender und abwechslungsreicher vorgestellt. Aber so genau wusste er nicht, was er gegen die Langeweile tun sollte. Er lernte auf drei, dann auf zwei und schließlich auf einem Bein zu stehen. Die Langeweile blieb. Er konnte mit Messer und Gabel essen. Die Langeweile wollte nicht verschwinden. Eine Eule lehrte ihn, wie man mit den Tatzen pfeifen konnte, um wie eine Eule zu klingen. Aber es reichte nicht aus, die Langeweile hinwegzupusten.
Alles um den Löwen herum ging seinen gewohnten Gang, die Sonne schien, der Himmel zeigte sich blau, die Nacht kam, wenn der Tag ging und umgekehrt.
Nun kann man sich vorstellen, wie zerrissen der Löwe war: Einerseits liebte er das Faulenzen, andererseits hatte er kein Interesse, gelangweilt zu sein.
„Ich muss etwas tun. Ich muss mich mehr bewegen. Neue Tiere kennenlernen“, sagte er zu sich und dem Baum, unter dem er lag. Der tat aber so, als ob er nichts gehört hätte und antwortete nicht.
„Lieber Baum, ich werde mich in der Gegend ein wenig umschauen“, teilte der Löwe dem Baum freundschaftlich mit. Der schwieg abermals. „Aber ich komme wieder zurück!“, schloss er an, vielleicht weil er dachte, der Baum könnte ihn vermissen.
Der Löwe schritt langsam den Hügel hinab und begab sich auf seinen Weg, von dem er nicht wusste, wohin er ihn führen würde. Der Baum winkte sacht mit seinen Ästen.
Die Tiere in der näheren Umgebung des Hügels blieben beim Anblick des Löwen jedes Mal stehen und grüßten ihn mit einer leichten Verbeugung, wie es sich für ordentliche Untertanen gehört. Der König erhob daraufhin die linke oder rechte Tatze und winkte zurück. Jetzt war er froh, gelernt zu haben, auf nur drei Beinen stehen zu können. An dem Wasserloch, an dem er regelmäßig einkehrte, saßen zwei Trompetenvögel, die sein Kommen ankündigten: „Der König!“ Dann trompeteten sie, weil das ihre Bestimmung war. Alle dort gerade trinkenden Tiere traten zurück, um den König zuerst saufen zu lassen. Der Löwe genoss diese Momente, weil sie ihn selbstbewusst machten.
Doch nun wollte er mehr sehen, als nur sein Wasserloch, seinen Hügel und seine ausgetretenen Pfade. Er lief drauflos, einfach so und ohne genaues Ziel. Zebras und Gnus kreuzten seinen Weg und freuten sich, ihrem König einmal begegnet zu sein. Die Sonne schien, zwei Wolken galoppierten von Osten nach Westen.
Eines fiel dem Löwen auf: Je mehr er sich von zuhause entfernte, desto weniger Tiere erkannten ihn. Und wer ihn nicht erkannte grüßte ihn natürlich nicht oder machte irgendwelche Verbeugungen. Schließlich war es soweit, dass ihn kein Schwein mehr kannte. Nichts passierte, was wiederum dem Löwen überhaupt nicht passte. Denn man wird nicht gerne übersehen, egal ob man als König regiert oder nicht. Aber bei einem König ist es ganz besonders schlimm, weil man gerade von seinen Untertanen erwartet, erkannt zu werden.
Die Unwissenheit hing damit zusammen, dass die zwar Tiere wussten, wer ihr König war, aber nicht, wie er aussah. Zu Anfang sagte der Löwe immer noch: „Aber ich bin doch euer König!“ Doch mit der Zeit wurde er immer leiser, bis er gänzlich schwieg. Er tat sich selbst so schrecklich leid, dass er schmollte und danach aus lauter Verzweifelung ein bisschen rumbrüllte. Aber weil ein bisschen Rumbrüllen noch fast keinem geschadet hat, ging es dem Löwen hernach etwas besser. Sein Kopf war wieder frei. Er überlegte sich, wie er diese Situation, in der seine eigenen Untertanen achtlos an ihm vorbeigingen, ändern könnte.
Ihm kam eine Idee: Er bräuchte etwas, woran ihn jeder erkennen würde. Doch was sollte das sein? Er konnte sich schlecht ein Schild um den Hals hängen, auf dem „Vorsicht König!“ oder „Euer König“ oder „König der Löwen“ draufstand. Der Löwe schaute ratlos in den Himmel und wurde dabei so müde, dass er vorsichtshalber ein Nickerchen machte. Danach fühlte er sich frisch gestärkt. Der Schlaf hatte ihm darüber hinaus einen Einfall geschenkt: er wollte das weise Nashorn um Rat fragen.
Damals lebte nämlich in Afrika, nicht weit von der Stelle, wo sich der Löwe gerade aufhielt, ein weises Nashorn. Eigentlich – und das sage ich euch ganz leise – war es gar nicht weise, sondern nur weiß. Aber die Elefanten, die wegen ihres langen Rüssels so undeutlich sprechen, hatten in der Vergangenheit immer von dem weisen Nashorn gesprochen, anstatt von dem weißen. Und irgendwann glaubte ein jeder, dass das Nasshorn ein weißes, weises sei, dabei handelte es sich lediglich um ein weißes, normal schlaues. Weil das aber kein Tier wusste, kamen sie aus allen Himmelsrichtungen gelaufen, wenn sie Gesundheitsfragen hatten oder in ihre Zukunft geschaut haben wollten. Das Nashorn wunderte sich zu Anfang über den Andrang, gefiel sich aber zunehmend in der Rolle. Es gab Tipps und verriet Tricks, obwohl es von Tuten und Blasen nicht die geringste Ahnung hatte.
Der Löwe fragte ein Landkartenschwein nach dem Weg und erreichte das Nashorn kurze Zeit später. Eine lange Schlange aus verschiedenen Tieren bildete sich vor dem Schlammloch, wo das Nashorn wohnte. Als der König so mir nichts dir nichts vorbeispazieren wollte, wurde die Schlange giftig und fuhr ihn an, er solle sich gefälligst hinten anstellen und nicht vordrängeln. Da wurde dem Löwen noch einmal bewusst, dass sich tatsächlich etwas ändern musste. Zum Glück erkannte ihn die Gazelle, die ihn damals vor der Wahl zum König als Erste vorgeschlagen hatte. Sie wollte das Nashorn um Rat fragen, ob sie in Afrika bleiben solle oder nicht.
„Aber da ist ja unser König! Lasst unseren König hindurch! Da ist unser König!“, rief sie mit ihrer hellen, hohen Stimme. Mit einem Schlag entschwand das Gift aus der Schlange. Sie ließ den Löwen nach vorne treten. Ihr könnt euch vorstellen, dass das Herz des Löwen ein wenig höher hüpfte vor Freude, weil ihn mal wieder jemand erkannt hatte.
Das Nashorn lag fett und weiß in seiner Schlammkuhle und schaute ein bisschen wie eine Kuh, die man auf einen betonierten Parkplatz stellt und auffordert: „Friss das Gras, Kuh!“ Ich will damit sagen, dass das Nashorn nicht sehr schlau dreinblickte. Obwohl es nicht so klug wie ein Delphin aussah, versprühte das Nashorn eine durch das Amt als weißes Weisheitstier begründete Autorität, so dass eine nur leichte Kopfbewegung der Schlange beschied, sich aus Respekt ein wenig zu entfernen. Zwar gab es eine Linie, hinter der die Tiere zu warten hatten, wenn sie nicht dran waren – hier ging es darum die dem Nashorn anvertrauten Geheimnisse zu schützen – aber das Gespräch zwischen König und Orakel sollte vollkommen geheim bleiben, also wie ein geheimes Ober-König-Geheimnis.
„Bonjour, mein Könisch. Was kann isch für disch tun?“, fragte das Nashorn. Es hatte französische Vorfahren und pflegte seinen Akzent besonders, seitdem es als Orakel tätig war.
Der Löwe schilderte kurz sein Anliegen. Das Nashorn nickte verständnisvoll und ließ seinen dicken Kopf in den Matsch fallen, dass es nur so spritzte: „Oh, lass misch überlegen!“ Um die Wichtigkeit des Nachdenkens zu unterstützen, schloss es die Augen. Der König wartete und wurde langsam ungeduldig. Und das nicht zu Unrecht. Das Nashorn kämpfte nämlich mit einem ähnlichen Problem wie der König selbst. Es schlief beim Denken gerne ein. Da stand die Majestät, der König, und das weiße weise Nashorn begann zu schnarchen.
Der Löwe tippte es vorsichtig an. Eigentlich soll man schlafende Nashörner nie wecken, aber der Fall lag so wichtig, dass man nur dies eine Mal eine Ausnahme machen musste. Aber die Weisheit schlief in diesem Moment wie ein Stein. Dem Löwen geriet das Warten zu lang. Er piekte dem Nashorn mit seinen Krallen in den dicken Hintern. Nun ist die Haut des Rhinozeros sehr dick, aber eben nicht dick genug. Das Nashorn riss die Augen auf und sprang sogar ein bisschen in die Höhe, obwohl man ihm das beileibe nicht zugetraut hätte.
„Ich bin nicht eingeschlafen. Ich habe nachgedacht“, sagte es ganz normal. Dann fiel ihm aber ein, dass es ja eigentlich mit einem französischen Akzent sprach. „Isch `abe nischt geschlafen. Isch `abe nur eine bisschen nachgedacht.“
„Und was ist dabei herausgekommen?“, wollte der Löwe neugierig wissen.
„Isch glaube, du brauchst eine Krone!“, sagte das Nashorn und nickte zustimmend, weil diese Idee tiefe Zufriedenheit in ihm auslöste.
„Was ist eine Krone?“, wollte der Löwe wissen. Nun, da der Löwe der erste König der Tiere war, musste er nicht wissen, was Krone bedeutet.
Das Nashorn kicherte, was sich ungefähr so anhörte, als ob ein Hund gejault hätte.
„Du weißt nischt, was eine Krone ist? Aber du biste doch der Könisch? Ist auch egal, isch `abe nämlisch noch eine übrisch.“
Das Nashorn erhob seinen dicken Körper und ging zu einem nahegelegenen Baum, in dessen Stamm ein dickes Loch klaffte. Sein Kopf verschwand halb darin. Man hörte ein Rumpeln und Pumpeln. Als das Nashorn den Kopf wieder herauszog, tanzte eine Krone aus Blech auf dem Horn. Triumphierend schaute es in die Runde: „Da ist sie. Eine Krone ist eine Könischshut, weißt du Majestät?“
Der König legte den Kopf zur Seite, weil er hoffte, so etwas besser zu verstehen, für was dieses Blech mit den Zacken gemacht sei. Vor allen Dingen fragte er sich, wie dieses Ding sein Problem lösen sollte.
Das Nashorn war vielleicht doch kein so schlechter Hellseher, denn es schien, als könnte es die Gedanken des Löwen erraten: „Du musst die Krone auf den Kopf setzen und dann erkennt jeder, dass du der Könisch bist, verstehst du Majestät?“
„Und das soll ausreichen, damit mich jedes Tier erkennt und grüßt?“, fragte der Löwe unsicher. „Sie ist so grau und klein.“
„Eine andere habe isch nischt!“, antwortete das Nashorn eingeschnappt. „Wenn dir die Farbe nischt gefällt, musst du zum Chamäleon gehen, das `at alle Farben dieser Welt.“
Der Löwe bedankte sich und ließ sich noch eins, zwei, drei den Weg zum Chamäleon erklären. Dann verabschiedete er sich vom weißen, weisen Nashorn. Dieses wiederum legte sich in sein Schlammloch und stellte ein Schild mit der Aufschrift „Mittagspause“ davor auf. Die Lider wurden ihm so schwer von diesem königlichen Rat, den erteilt hatte, dass es eine Sekunde später eingeschlafen war. Die anderen Tiere, die zuvor eine Schlange gebildet hatten, kamen nach der Mittagspause wieder, und das war drei Tage später..
Ach übrigens, das Nashorn riet der Gazelle, doch in Afrika zu bleiben. Und was tat die Gazelle? Sie blieb in Afrika.

Der Löwe indes marschierte schnurstracks zu dem Baum, auf dem das Chamäleon wohnte. Aber irgendwie verlief er sich, so dass ihm wieder einmal ein Landkartenschwein den richtigen Weg weisen musste. Nun hatte er es endgültig geschafft. Er stand vor dem Baum, auf dessen unterstem Ast ein rotes Tier saß. Neben der Farbe gab es eine Besonderheit zu beobachten: das rechtes Auge schaute immer in eine andere Richtung als das linke. Dem Löwen wurde regelrecht schwindelig, je länger er das rote Etwas anschaute.
„Ich suche das Chamäleon, das alle Farben besitzt. Bist du das vielleicht?“
„Hmmm. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“ Das linke Auge schaute nach unten zum Löwen, das rechte nach oben zum Himmel. „Wer bist du überhaupt?“
„Ich bin der Löwe, der König der Tiere!“, stellte der Löwe ernst und entschlossen fest.
„Aha!“, sagte das Chamäleon daraufhin. „Das kann jeder sagen. Beweise es!“
Jetzt schaute der Löwe dumm aus der Wäsche. Bis jetzt hatte ihm jeder geglaubt, dass er der König sei. Nur dieses rote Ding auf dem Baum wollte es nicht glauben. Und nun? Guter Rat war teuer, aber er hatte weder Geld noch Zeit. Doch er hatte Glück. „Pling“, machte es in seinem Kopf, sehr leise, aber es reichte aus, die Idee zu hören: „Ich habe eine Krone. Ist das Beweis genug für dich?“ Er zeigte seine kleine Blechkrone.
Das Chamäleon nickte, wobei das linke Auge wie das rechte mitzunicken schien.
„Hmmm. Jetzt, da ich weiß, dass du mein König bist, sage ich dir auch, wer ich bin: Du hast Recht, ich bin das Chamäleon, das alle Farben besitzt und verwaltet.“
„Warum bist du so rot? Hast du Fieber?“
„Nein, ich lebe heute die Farbe der Liebe“, sagte das Chamäleon ein bisschen angeberisch.
„Aha“, antwortete der Löwe und schwieg für einen Moment. „Und liebst du etwas?“
„Ja, Insekten. Die habe ich zum Fressen gern. Hmmm.“ Eine Fliege flog vorbei. Das Chamäleon hatte sie auf einmal so lieb, dass es seine klebrige Zunge so schnell aus dem Mund herausfuhr, dass man zweimal schauen musste. Die Fliege blieb darauf kleben. Das Chamäleon schaute die Fliege ein letztes Mal liebevoll an und zwar mit beiden Augen. Dann rollte es die Zunge samt Fliege wieder ein und schluckte kurz.
„Hmmm, Mittagessen. Außerdem liebe ich alle Farben.“
„Das ist nicht viel.“
„Warum? Es gibt doch so viele?“
„Da hast du Recht.“ Der Löwe überlegte einen Moment. Der Begrüßungsworte waren nun genug gewechselt, jetzt würde er fragen. Der Löwe räusperte sich: „Der Grund, warum ich zu dir komme ist folgender: Ich bräuchte eine Farbe von dir. Also ausgeliehen für meine Krone.“
Das linke Auge des Chamäleons schaute auf den Löwen, das rechte suchte eine neue Fliege.
„An was für eine Farbe hast du denn gedacht?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Farbe, die einem König würdig ist. Aber sag du, du bist doch der Fachmann! Was kannst du mir empfehlen?“ Der Löwe hörte sich an, als wäre er in einem Restaurant und wüsste nicht, was er bestellen solle.
„Hmmm.“ Das Chamäleon begann jeden zweiten Satz mit „Hmm“, um Zeit zu gewinnen. „Was hältst du von diesem Lordgrün?“
Und ehe sich der Löwe versah, leuchtete das Chamäleon nicht mehr rot wie eine Erdbeere, sondern dunkelgrün wie ein Lord. Doch das Grün gefiel dem Löwen nicht. Er schüttelte den Kopf.
„Hast du noch etwas Anderes in deinem Programm?“
Das Chamäleon wechselte wieder die Farbe und erstrahlte jetzt in einem schweren Gold.
„Das ist ja Gold“, sagte der Löwe enttäuscht. „Das haben ja alle.“ Man muss dazu sagen, dass es Gold damals in Hülle und Fülle gab und keiner auf die Idee kam, daran etwas Besonderes zu finden.
„Hmmm. Eine Idee habe ich noch.“ Wieder begann das Chamäleon seine Farbe zu wechseln. Dieses Mal schien es schwerer zu sein, die richtige zu finden. Es leuchtete wieder rot, dann orange, gelb, hellgrün, rosa, um schließlich bei einem dunklen Blau innezuhalten.
Der Löwe war begeistert. „Das ist eine hervorragende Farbe. Wie für meine Krone geschaffen. Diese Farbe soll ab heute königsblau heißen.“
Das Chamäleon freute sich, dass sich der Löwe so freute und so freuten sie sich miteinander. Deshalb übersah das Chamäleon auch eine Fliege, die vor ihrem Kopf vorbei flog. Glück für die Fliege.
„Und wie bekommen wir die Farbe in die Krone?“
„Hmmm. Leg sie vor mir auf den Ast! Den Rest mache ich.“
Als die Krone vor dem Chamäleon lag, fixierten ausnahmsweise beide Augen das gezackte Blech. Zuerst passierte nichts. Der Löwe drückte so fest seine Daumen zusammen, dass er gähnen musste. Dann sah er, wie sich die Krone von unten hin zu den Zacken langsam blau verfärbte. Schließlich leuchtete sie in einem strahlenden Königsblau. Das Chamäleon hatte sich für diese Meistertat kein einziges Mal bewegt. Jetzt fiel dem Löwen erst auf, dass sich das Chamäleon überhaupt nicht bewegte. Nur die Augen und die Zunge, aber nicht der Körper.
Der Löwe nahm die Krone vom Ast und setzte sie sich auf den Kopf.
„Sehr, sehr schön, liebes Chamäleon, eine hervorragende Arbeit. Vielen Dank. Ich bin dir sehr verbunden.“
„Hmmm. Gern geschehen. Du bist immerhin der König.“
Der Löwe verabschiedete sich. Das Chamäleon verfärbte sich wieder zurück in die Farbe der Liebe und wartete auf Fliegen.

Von nun an konnten alle Tiere ihren König an der königsblauen Krone erkennen. Der Löwe durchschritt nun nicht mehr unerkannt die Savanne. Seine Untertanen grüßten ihn, was den Löwen sehr erfreute. Allerdings barg die Krone einen gravierenden Nachteil: sie wollte nicht da bleiben, wo sie eigentlich hingehörte, nämlich auf dem Kopf. Weil der Löwe keine Befestigung für sie hatte, fiel die Krone bei jeder Gelegenheit von seinem Haupt. Und jede Gelegenheit meint hier jede Bewegung. Sobald der Löwe seinen Kopf nur ein bisschen zur Seite drehte, plumpste sie hinab wie ein reifer Apfel von einem Baum. An Nicken oder Kopfschütteln war überhaupt nicht mehr zu denken. Wenn der Löwe nun die Krone trug, sah es aus, als habe er einen dicken Stock verschluckt, so langsam und steif bewegte er sich. Auf der anderen Seite wollte er die Krone auch nicht zur Seite legen, weil er es so genoss, von allen und jedem erkannt zu werden. Das schmeichelte seiner Eitelkeit. Jegliche Versuche, die Krone festzubinden oder zu befestigen, scheiterten. Außerdem verursachte die Krone noch ein anderes Problem: Weil der König seinen Kopf samt Aufsatz so schlecht bewegen konnte, bewegte er ihn einfach nicht. Daraufhin bekam er aber immer öfter Nackenschmerzen. Und eines ist bekannt: So hart männliche Tiere und Menschen auch manchmal sein mögen, wenn sie Schmerzen haben, vertragen sie gar nix. Die einzigen, die wirklich keine Schmerzen kennen, sind und bleiben die Indianer. Aber der Löwe war kein indianischer Löwe, sondern ein ganz normaler. Also jammerte und wimmerte er, wenn sein Nacken mal wieder zwickte.
Der Herr Löwe war wieder einmal ratlos. Er war hin- und hergerissen zwischen seiner Eitelkeit und den Schmerzen, die ihn piesackten. Beim Überlegen schlief er wie immer ein. Er lag unter seinem Baum und schlummerte friedlich in die Abenddämmerung. Als die Sonne schon lange untergegangen war, schlief er immer noch. Die Krone lag neben ihm und rührte sich nicht.
Als er aufwachte, hing der Mond wie ein fetter, runder Käse am Himmel. Die Sterne leuchteten heute besonders prachtvoll. Der Löwe gähnte in die laue Nachtluft hinein. Dann fiel sein Blick auf die Krone und ihm sein Problem wieder ein. Gedankenverloren starrte er in den Himmel und zermarterte seinen Kopf, wie er aus dieser misslichen Lage wieder herausfinden könnte. Er überlegte so angestrengt, dass er schon fast wieder müde wurde. Doch dann geschah etwas am Himmel: Ein Stern hatte sich entschieden, seinen vorgesehenen Platz zu verlassen und fiel mit einem langen Schweif herunter. Der Löwe sah die Sternschnuppe und wusste sehr wohl, dass derjenige, der eine Sternschnuppe sieht, sich etwas wünschen darf. Das konnte die Lösung für sein Problem sein. Er schloss die Augen und wünschte sich eine feste Krone oder irgendetwas, woran man seine Königschaft erkennen konnte. Das sagte er natürlich nicht, weil sonst ein Wunsch nicht in Erfüllung geht, aber wir wissen es trotzdem.
Plötzlich, der Löwe hatte die Augen noch geschlossen, fiel etwas direkt neben seinen Kopf auf die Erde. Erschrocken riss der Löwe seine Lider auf und traute seinen Augen kaum. Neben ihm, keinen halben Meter entfernt, lag ein kleiner zappelnder Stern. Er leuchtete hellblau und begann zu reden.
„Sag mal, kannst du nicht etwas genauer sein, wenn du dir etwas wünschst?“, fragte der Stern unwirsch und war noch ganz außer Atem wegen der langen Reise vom Himmel auf die Erde.
„Wa, was ist los?“ Der Löwe schaute verdattert wie ein Dotter in einer Dattel. „Wie redest du denn mit mir, ich bin doch der…“
Der Stern unterbrach ihn: „Mir ist egal, wer du bist. Du durftest dir etwas wünschen, weil ich zur Sternschnuppe geworden bin. Aber du musst es schon genauer beschreiben. Du kannst nicht denken, du wünschst dir eine Krone oder etwas Ähnliches. Entweder oder. Verstehst du?“
„Das wusste ich nicht. Ich habe noch nie eine Sternschnuppe gesehen.“
„Ja, ja, das machen viele falsch. Normalerweise passiert dann nämlich gar nichts. Kein ordentliche Wunschbestellung, keine Lieferung.“ Die Sternschnuppe wurde etwas freundlicher. „Ich habe bei dir eine Ausnahme gemacht und mir gedacht, ich tue dir einen Gefallen, wenn ich kurz vorbeischaue, um dir deinen Wunsch zu erfüllen.“
„Das ist sehr nett von dir!“ Der Löwe war erstaunt, dass es tatsächlich so nette Sterne gab. „Eine Frage habe ich aber doch noch: Wie kommt es, dass du so klein bist? Sterne sind doch üblicherweise riesig groß!?“
Die Sternschnuppe hatte sich wieder erholt und konnte nun normal sprechen: „Je länger wir fallen, desto kleiner werden wir. Deshalb kannst du uns ja auch nur eine Zeitlang sehen. Irgendwann sind wir so geschrumpft, dass uns keiner mehr erkennen kann mit bloßem Auge.“
Der Löwe nickte.
„Darf ich mir jetzt was wünschen?“
„Ja, aber mach schnell, ich merke, wie meine Kräfte schwinden.“
„Ich hätte gerne eine festverwachsene Krone auf meinem Kopf, so dass mich alle Tiere auf immer erkennen!“
„So soll es geschehen“, sagte der frühere Stern, jetzt Sternschnuppe.
Aber nichts geschah. Auch nicht fünf Minuten später.
„Ich glaube, ich habe beim Aufprall meine Kraft verloren“, stellte die Sternschnuppe enttäuscht fest. „Und dafür habe ich mich extra hierhin fallen lassen. Für nichts.“
Der Löwe war nicht minder enttäuscht. So nah lag die Lösung. Aber jetzt schien sie unerreichbar. Doch der Stern gab nicht auf: „Lass es uns noch einmal versuchen! Irgendetwas werden wir schon finden.“
Dann begann die Sternschnuppe noch einmal richtig zu glühen und zitterte am ganzen Sternenleib. Zunächst geschah nichts. Plötzlich merkte der Löwe, wie sich etwas rund um seinen Kopf bewegte. Aber er wusste nicht, was es war. Er fühlte mit seiner Tatze und merkte, dass ihm Haare wuchsen. Einmal rund um seinen Kopf herum.
„War das alles?“, fragte er enttäuscht, obwohl er sich eigentlich bei der Sternschnuppe bedanken wollte, aber die Enttäuschung wog zu schwer.
„Mehr ging nicht, doch es wird gut, warte nur ab!“
„Was passiert jetzt mit dir?“
„Ich werde eins mit dem Sand und Gras hier. In ein paar Sekunden bin ich verschwunden. Danke, dass du dir etwas von mir gewünscht hast. Wünsche erfüllen ist schö….“
Das „n“ hörte der Löwe nicht mehr. Der Stern, der sich als Sternschnuppe auf die Erde direkt neben den Löwen hatte fallen lassen, war eins mit der Erde geworden.
„Danke“, sagte der Löwe zu der Stelle, wo sich eben noch die Sternschnuppe befunden hatte. Dann schlief er ein vor lauter Anstrengung. Und seien wir ehrlich, wer trifft schon mal eine Sternschnuppe und unterhält sich mit ihr?
Am nächsten Morgen setzte sich der Löwe sein Krone auf, aber sie wollte überhaupt nicht auf seinem Kopf sitzen bleiben. Andauernd fiel sie wieder hinunter. Der Löwe dachte gar nicht mehr an die Sternschnuppe. Er dachte, er hätte sie nur geträumt. Der viele Schlaf hatte ihn durstig gemacht. Der Löwe machte sich ohne Krone an sein Wasserloch. Die Trompetenvögel trompeten, als er ankam. Die anderen Tiere verbeugten sich.
„Majestät, sie sehen heute ganz entzückend aus!“, sagte ein Flamingo, der auf einem Bein im Wasser stand.
Der Löwe hörte nur mit einem Ohr hin, wie er das öfter zu tun pflegte und trottete an den Rand des Lochs. Er wollte gerade anfangen zu trinken, als er sein Spiegelbild im Wasser wahrnahm. Rund um seinen Kopf lief ein dunkelbrauner Haarkranz, der ein bisschen aussah wie ein Stern mit vielen, vielen Zacken. Und das Beste war, dieser Haarkranz sah sehr königlich aus. Wie mickrig die Krone dagegen daherkam. Der Löwe machte aus lauter Freude einen Luftsprung aus dem Stand – bestimmt drei Meter hoch. So hoch ist seitdem kein einziger Löwe mehr gesprungen. Seine Freude war damit aber noch nicht vorüber. Er lief zu allen wartenden Tieren und drückte sie fest an sich. Als er sich wieder ein bisschen beruhigt hatte, räusperte er sich und sagte: „Dieser Haarkranz wird meine Krone sein, und ich nenne ihn „Mähne“.
Warum gerade „Mähne“ und nicht „Strähne“ oder „Moräne“ konnte keiner sagen. Aber wen interessiert es schon, wenn einmal für eine Sache Namen vergeben worden sind? Keinen einzigen.
So kam der Löwe zu seiner Mähne. Und wer das nicht glaubt, ist selber Schuld.

Hans hörte auf zu sprechen und griff sich mit einer Tatze in seine Mähne und schüttelte sie dann. „So, jetzt wisst ihr Bescheid.“
Jans und Felix bedankten sich für die neuerliche spannende Geschichte und kletterten die Treppe hinab in ihre Kabine.

„Bis bald“, verabschiedete sich Hans und verwandelte sich wieder zum ganz normalen Stofflöwen mit weichem Fell und starrem Blick.